Frage (Auszug) |
Wir sind eine
recht neue Genossenschaft und suchen Kontakt nach Frankreich, Spanien und
Italien. Unsere Freunde in Frankreich möchten nun eine Genossenschaft in
Deutschland gründen. Dabei wollen sie von uns beraten werden. In unseren
Gesprächen haben wir erfahren, dass man in Frankreich z.B. nicht eine
„Pflichtmitgliedschaft“ in einem Prüfverband eingehen muss. Wir haben nicht
nur darüber gestaunt, sondern auch mitbekommen, dass in Frankreich viel mehr
Lebendigkeit bereits bei der Gründung einer Genossenschaft besteht. Weil das
bei uns in Deutschland alles immer komplizierter ist, wie anderswo, wird es
zunächst keine Gründung der Franzosen in Deutschland geben. Nun, wir waren
mit unserem Prüfungsverband nicht direkt unzufrieden, haben jedoch gemerkt,
dass solche Prüfer sich kaum in den „Genossenschafts-Alltag“ hineinversetzen
können. Sie „kleben“ förmlich an ihren Zahlen, aber echte Impulse haben wir
bisher keine bekommen. Ein Mitglied unserer Genossenschaft ist Anwalt. Er hat
uns erklärt, warum es in Deutschland überhaupt die (gesetzliche) Pflicht
gibt, einem Prüfungsverband angehören zu müssen. Wir haben auch dazu unseren
„Prüfer“ gefragt. Der hatte eine – für
ihn – einfach Auskunft: „Das ist halt so, weil es im Gesetz steht“. Diese
Antwort hat uns irgendwie nachdenklich gemacht und wir haben intensiver
recherchiert. Das Ergebnis war „desillusionierend“, das hat viel mit der Zeit
des Faschismus zu tun. Wir würden jedem Genossenschaftler empfehlen, dazu mal
die Bücher von Herrn Wilhelm Kaltenborn zu lesen (gern geben wir euch die
Titel dazu. ..) Was ist euere
Meinung dazu und kennt Ihr Menschen, die positive Erfahrungen gemacht haben,
die ein „Prüfungs-Monopol“ der Verbände rechtfertigen? Wir werden in
Kürze an einer europäischen Konferenz von Genossenschaften teilnehmen. Könnt
Ihr uns bitte deshalb recht kurzfristig antworten?. Uns ist auch unklar,
warum es in Deutschland einen „EU-Sonderweg für Genossenschaften in
Deutschland“ gibt und wann man das Genossenschaftsrecht endlich in Europa vereinheitlichen
wird. Gibt es eurer
Sicht eine inhaltliche Rechtfertigung – und worin liegt die – dass man in
Deutschland „zwangsweise“ einem Prüfungsverband angehören muss. Gern hätten
wir Literaturhinweise zu unseren Fragen, weil einige unserer Mitglieder
überlegen, zu solchen genossenschaftlichen Themen „Bachelor- oder
Master-Arbeiten zu schreiben. … Wie ist die
Stellung zu solchen Themen der „Genossenschafts-Institute“ in Deutschland.
Wir haben gehört, dass diese Institute irgendwie von Außen „subventioniert“
werden, was nicht unbedingt auf „unbeeinflusste Forschung“ hindeutet. …. |
FragestellerIn: Startup Genossenschaft
im Bereich „Digitalisierung und Kommunikation“. |
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Antwort (Auszug): |
Allein euere
Fragen ließen sich bereits zu einer „Bachelor-Arbeit“ ausbauen. … Wir wollen
versuchen, recht kurz zu bleiben, ohne das Wesentliche auszuklammern. Wenn Ihr die
Bücher von Herrn Kaltenborn bereits gelesen habt, brauchen wir darauf
nicht weiter eingehen. Wir danken Herrn Kaltenborn für seine verdienstvolle
Arbeit. Wir könnten es uns recht einfach machen, weil wir keine „historischen
Altlasten“ kommunizieren müssen, unsere Verbandsorganisation ist erst in der „Neu-Zeit“
entstanden. …. Lasst uns mit
einer Frage beginnen: Was könnte der
Grund dafür sein, weshalb auch heute noch ein Relikt besteht, das in
der Zeit des Nationalsozialismus seine besondere Bedeutung hatte: ·
Die immer noch
ungewöhnlich intensive Staatskontrolle im Genossenschaftsbereich! Aus Sicht der Staatsfunktion
der NS-Zeit machte Kontrolle Sinn. … Aber was ist
der Sinn in der heutigen Zeit, wenn „Staatskontrolle“ nicht mehr im
Vordergrund stünde? Halten wir
fest: ·
Vor 1934 gab es
keine Staatskontrolle. ·
Erst die „Nazis“
führten sie ein. ·
Aber auch nach
1949 war man immer noch der Auffassung, eine „Staatskontrolle“ zu
benötigen! Wenn das nicht
nachdenklich macht. … Abstrakt
könnte man fragen: ·
Was ist heute das Staats-Motiv,
um Genossenschaften in einen staatlichen Kontroll-Prozess zu halten? Und erweitert
könnte man fragen: ·
Warum diese
Staatskontrolle jetzt sogar ausgedehnt wird, statt darüber
nachzudenken, sie sukzessive zu minimieren, gegebenenfalls ganz aufzugeben? Ein Blick auf
fast alle EU-Staaten (außer Österreich) zeigt, dass das geht und wie gut das
funktioniert. Irgendwie
merkwürdig: ·
In Ländern mit
„Staatskontrolle“ „dümpelt“ der „Genossenschafts-Bereich auf niedrigem
Niveau, vor allem die Zuwachsraten sind niedrig ·
In Ländern ohne
„Staatskontrolle“ boomt – sozusagen - der Genossenschaftsbereich,
„Geno-starup“ ist „in“! Nun, der
„Staat“ in Deutschland wird darauf verweisen, dass es ja Genossenschafts- und
Prüfungsverbände gibt, die als „Eingetragene Vereine“ sich quasi selbst
organisieren. Es scheint so,
als wären heute „Prüfungsverbände“ in freier Regie der Vereins- bzw.
Verbandsmitglieder. Sind sie aber nicht. Das Recht der Mitglieder
eines Verbandes sich „selbst zu verwalten“ ist nicht unerheblich
eingeschränkt. Das beginnt
bereits damit, dass das „Prüfungsrecht“ staatlich verliehen wird und
natürlich auch „zurückgenommen“ werden kann. Jede
Genossenschaft in Deutschland muss – um in das Register eingetragen zu werden
und somit als „eG“ firmieren zu können - einem „staatlich beaufsichtigten“
Verband angehören. Gehört sie
keinem Verband an, wird sie „ausgetragen“. Sie ist dann zwar noch immer eine
Genosenschaft, aber hat keine Haftungsbegrenzung mehr. … Die
„Staatskontrolle“ der Verbände äußert sich vielfältig. Landesbehörden
entscheiden über die Zulassung von Prüfungsverbänden und überwachen deren
Tätigkeit. Im Rahmen einer sog. Qualitätskontrolle „überwacht“ zusätzlich die
Wirtschaftsprüferkammer und auch andere „Quasi-Staatliche“ Einrichtungen
werden tätig, wie z.B. die Verbraucherberatung. Auch wenn sie alle irgendwie
„gerechtfertigt“ erscheinen mögen, greifen sie doch letztlich nicht
unerheblich in die genossenschaftliche Souveränität ein. Ist das
beabsichtigt oder eher „zufällig“? Die
Alternativen sind offenkundig und lauten: ·
Entweder man vertraut
den Menschen, dass sie im Rahmen von Selbstorganisation ihre
originären Themen selbstverantwortlich regeln können, so wie das
Vereinsrecht es vorsieht. ·
Oder man
unterstellt, dass Menschen (irgendwie) unmündig und unfähig sind, ihre
Mitgliedschaften selbst mit Leben auszufüllen. In diesem Bild orientiert man
eher auf „Überwachung und Kontrolle“; letztlich die Staatskontrolle … Nun, Länder
wie Deutschland und Österreich taten sich mit Selbstorganisation und
Vertrauenskultur schon immer etwas schwerer. … Der Hinweis
zur EU-Harmonisierung ist interessant. Eigentlich hätte er aus Deutschland
längst selbst kommen müssen. Diese Frage
wäre berechtigt: ·
Warum ist wirkliche Selbstorganisation
und Selbstverwaltung nicht längst eine Forderung der deutschen und
österreichischen Genossenschaft- und Prüfungsverbände? Fürchtet man
sich und wenn ja, warum und was befürchtet man? Einer
EU-Harmonisierung – damit einer Pflichtmitgliedschaft für Genossenschaften in
Prüfungsverbänden, wird man in Deutschland nicht dauerhaft „entgehen“
können. Aber man
könnte den „Druck“ hin zu dieser Forderung intelligent minimieren,
z.B. durch eine andere Verbände-Politik. … Wer mit etwas
mehr Intelligenz statt borniertem Verbands-Ego sich solche Entwicklungen
anschaut, muss einfach erkennen, dass die Verbände sich irgendwie selbst
daran zu beteiligen scheinen, den Druck in Richtung „EU-Harmonisierung“ zu
forcieren. Das zentrale
Stichwort heißt: „Mehrwert“! Angenommen,
Mitglieder in einem Prüfungsverband sind vollends zufrieden mit dem
„Service-Angebot“ ihres Verbandes in Bezug auf die Kosten und die Leistungen. ·
Würden diese
Mitglieder aus dem Verband austreten, wenn die Pflichtmitgliedschaft
aufgehoben wäre? Nein, natürlich nicht,
weil anzunehmen ist, dass dieser – auf Genossenschaften spezialisierte
Sachverstand (Service) - im „Preis-Leistungs-Verhältnis“ nirgendwo
vorteilhafter wäre. In einem
Verband legen die Mitglieder die Gebühren selbst fest, bei privaten
Organisationen (Wirtshaftsprüfer, etc.) gelten ungleich höhere Gebührensätze. Die Frage ist
angemessen, weshalb (Prüfungs-) Verbände überhaupt „Angst“ haben, wenn die
Pflichtmitgliedschaft in Verbände – gemäß einer EU-Harmonisierung – beendet
würde. Das kann
eigentlich nur dann der Fall sein: ·
Wenn Prüfungsverbände
meinen, in einem offenen Wettbewerb nicht bestehen zu können. Es sollte
eigentlich nicht schwierig sein, das Leistungsangebot von „Spezialisten“, wie
es die Verbände sind (bzw. sein sollten), bereits jetzt – zugunsten
ihrer Mitglieder - zu optimieren. Das gilt besonders für den Bereich
„Prüfen“. Hier ist ganz
sicher eine Diskussion notwendig, wie aus einer „Überprüfung“ von
bereits vollendeten Geschäftsabläufen, eine zukunftsbezogene „Mehrwert-Prüfung“
entstehen könnte. Dazu ist sicherlich eine neue Sichtweise erforderlich, die
über „Zahlen-Korrektness“ hinausgeht. Die Frage muss
gestellt werden, welche Bedeutung die Menschen in einer Genossenschaft
bezüglich des Geschäftserfolgs einer Genossenschaft haben? Aufgrund der
(Verantwortungs- und Handlungs-) „Gemeinschaft der Teilhaber“ entsteht
ein latentes Potential der „Überlegenheit“, das bisher noch
nicht hinreichend zur Entfaltung gekommen ist. Wir nennen das
– verkürzt gesagt – die „Energie hinter den Zahlen“ zu erkennen. Es fehlt
derzeit bei den Verbänden zu erkennen, dass die traditionelle
„Prüfer-Qualifikation“ um neue Beratungsfelder erweitert werden
könnte. Ob das zu einer diesbezüglichen Kompetenzerweiterung des Prüfers
führen sollte oder ob dies eher eigenständig personell zu ergänzen wäre, muss
hier nicht abschließend beurteilt werden. Sicher ist
aber, dass der Aspekt „Prüfen“ und „Beraten“ (in Verbindung mit der förderwirtschaftlichen
Grund-Erfordernis) eher gleichwertig zu sehen sind wird zu diskutieren
sein. Und „Prüfungsberichte“ von Genossenschaften müssen sich erheblich
von „Wirtschaftsprüfungs-Berichten“ unterscheiden. … Wir würden den
Verbänden raten, bereits jetzt ihr Leistungsangebot so zu gestalten, „als
ob“ das bestehende „verbandliche Prüfungsmonopol“ bereits aufgehoben
wäre. … Derzeit haben
– soweit wir es übersehen – weder wichtige Verbände - noch der Staat ein
Interesse, das Thema „Prüfungspflicht“ und „Pflichmitgliedschaft“ in
Prüfungsverbänden zu liberalisieren. Die absolute
Mehrheit der EU-Staaten hat keine „Pflichmitgliedschaft“ in staatlich
kontrollierten Verbänden und es gibt von dort auch keine Nachrichten, dass
das problematisch
wäre. Kein Land der EU ist bereit, sich auf eine Anpassung in Richtung
Deutschland oder Österreich einzulassen. Im Gegenteil,
sie erkennen deutlich: ·
Pflichtmitgliedschaft
scheint den Genossenschaftssektor eindeutig zu behindern! Die Anzahl der
Neugründungen und der Gesamtzahl der Genossenschaft (bezogen auf die
Gesamt-Bevolkerung) spricht eine klare Sprache: ·
Deutschland und
Österreich sind aufgefordert, endlich den Sonderweg zu beenden oder Nachweise
vorzulegen, die diesen Sonderweg rechtfertigen! Danke für
euere Frage und viel Spaß beim Kooperieren!
Bewusstseins-Wandel
ist „Taktgeber“ für den „Kooperativen-Wandel“! |
Genossenschaft-Online
ist eine
Fachgruppe des SmartCoop ForschungsInstituts (SCFI) im Bundesverband MMW. Unsere Berater sind:
DEGP Deutsch-Europäischer Genossenschafts-u. Prüfungsverband, IWMC
QuantenInsitut Internationale Wissenschafts- u. MedienCooperation und CoopGo Bund Freie Genossenschaften. |
Wir behalten
uns vor – ausschließlich zum Zwecke der besseren Lesbarkeit – Fragen
geringfügig abzuändern. Kontakt: gks@menschen-machen-wirtschaft.de |
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